Zusammen mit dem Blau der Gewässer ist das Stadtgrün von enormer Bedeutung für die Biodiversität: Es geht um das Überleben von Tieren und Pflanzen – und das Bestehen unserer Lebensgrundlagen.
Stadtgrün erhält unsere Lebensgrundlagen – klingt das zu hochgegriffen? Leider ist es das nicht. Seit Jahrzehnten sterben zunehmend und nahezu ungebremst die Tier- und Pflanzenarten – auch in Deutschland. So ist beispielsweise der Vogelbestand in Deutschland zwischen 1980 und 2016 um 40 Prozent zurückgegangen. Einzelne Vogelarten wie das Rebhuhn oder der Kiebitz sind akut vom Aussterben bedroht (Rückgang um 91 Prozent bzw. um 93 Prozent).
Auch die Vielfalt der Insekten ist dramatisch gefährdet: Bereits heute sind 30 Prozent aller Insektenarten akut vom Aussterben bedroht oder schon ausgestorben. Greenpeace geht davon aus, dass jeder dritte Bissen Nahrung, den wir zu uns nehmen, direkt von der Bestäubung von Insekten abhängt. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, welch enorme und direkte Auswirkung das Fortbestehen dieser kleinen Tiere auf unsere Ernährung hat. Und dies ist nur eins von vielfältigen Beispielen.
Foto: Erik Karits via Pexels.
Der jüngst erschiene „Faktencheck Artenvielfalt“ des Oekom Verlags beschreibt zudem, dass über die Hälfte der Lebensraumtypen, zum Beispiel Moore, ehemalige artenreiche Acker oder auch Küsten in einem unzureichenden oder schlechten Zustand sind. Auch in den Städten gehen wertvolle Lebensraumtypen, wie zum Beispiel naturnahe Grünflächen durch Innenverdichtung und Ausbau weiterer (Verkehrs-)Infrastruktur zunehmend verloren.
Gleichzeitig ist der Ansatz der dreifachen Innenentwicklung von enormer Bedeutung, um weiteres Ausdehnen der Städte und Neubau auf der grünen Wiese in den Außenbereichen möglichst zu minimieren. Ohne diese Begrenzung ist die Folge eine zusätzliche Bodenversiegelung.
Aus baukultureller Perspektive ergeben sich verschiedene gestalterische, funktionale als auch soziale Fragen, um die urbane Biodiversität zu fördern. Es geht um die Wechselwirkungen zwischen (Landschafts-)Architektur, Stadtplanung, biologischer Vielfalt und auch der Klimaanpassung sowie des Klimaschutzes in Stadtlandschaften.
Artenvielfalt erhält Ökosysteme
Wie können Stadträume die klimatischen Ansprüche – also zunehmende Extremwetterereignisse wie starke Hitze oder starke Niederschläge – erfüllen? Und wie können Gebäude so gestaltet werden, dass sie sowohl ästhetisch ansprechend sind als auch die Biodiversität fördern? Welche Rolle spielen Grünflächen und Gewässer, also die sogenannten grün-blauen Infrastrukturen, als natürliche Gestaltungsmittel? Diese letzte Frage stellt sich sowohl ästhetisch als auch funktional bei der Suche nach Lösungen für die Aufenthaltsqualität, die Artenvielfalt und den Klimaschutz wie auch die Klimaanpassung. Die Städte und Kommunen benötigen Antworten darauf, wie sie in der Planung und dem Bauen auf den Verlust der Artenvielfalt eingehen können.
Der Begriff Biodiversität meint und umfasst dabei „die Vielfalt an Arten und Lebensräumen wie auch die genetische Vielfalt innerhalb der Tier- und Pflanzenarten“ (Die neue Leipzig Charta 2021). Auch wir Menschen sind Teil eines Ökosystems, dessen Stabilität nicht zuletzt von einer gewissen Balance der zahlreichen natürlichen Prozesse und Interaktionen zwischen Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen abhängig ist. Wir können uns nicht davon abkoppeln und unabhängig davon leben. Wenn diese Balance aus dem Gleichgewicht gerät, kann das ganze Ökosystem Erde aus der Waage geraten.
Kohlmeise im Winter. Foto: Gundula Vogel
Menschliche Lebensweise vernichtet Arten
Die Ursachen für den starken Artenschwund liegen in unserer Lebensweise: Vor allem die veränderte Nutzung von Land und See, wie die intensive (industrielle) Landwirtschaft und die Überfischung der Meere, der übermäßige Abbau biologischer Ressourcen, die Umweltverschmutzung und auch der Klimawandel insgesamt tragen dazu bei.
Aber auch die Art, wie wir bauen, beeinflusst das Artensterben und wirkt zudem mit einigen der zuvor genannten Faktoren zusammen. In Städten sind es vor allem die starke Versiegelung von Böden und die Zerteilung von zusammenhängenden größeren Biotopen in getrennte, kleinere Lebensräume. Ein weiterer Grund ist das Ausweisen neuer Baugebiete in den Randbereichen von Kommunen, die sowohl Lebensräume als auch einzelne Tier- und Pflanzenarten direkt gefährden und zerstören. Durch den Einsatz von Pestiziden und Pflanzenschutzmitteln in der intensiv betriebenen industriellen Landwirtschaft kann die Biodiversität in Städten allerdings mitunter auch größer sein als in intensiv genutzten und bewirtschafteten Landstrichen.
Zeit zu Handeln
Das Gute ist: Was und wie wir planen und bauen, können wir bewusst steuern und verändern. Um Biodiversität in Städten und Kommunen zu erhalten und auszuweiten, können wir beispielsweise Flüsse und Bäche renaturieren (mehr dazu in unseren Best-Practice-Blogbeiträgen Münster und Siegen). Eine weitere Möglichkeit: Gärten und Parks möglichst naturnah gestalten. Das heißt: Wildblumen wachsen lassen, Totholz für Insekten liegen lassen, Flächen entsiegeln und möglichst keine neuen Flächen versiegeln.Renaturierung der Aa. Foto: Stadt Münster
Diese sogenannten naturbasierten Lösungen sind besonders sinnvoll. Denn es sind Maßnahmen, die auf natürlichen Prozessen wie zum Beispiel der Kühlungsleistung von Bäumen durch Verdunstung beruhen bzw. von der Natur inspiriert sind. Einige Kommunen haben zur Förderung der Artenvielflat Programme und Aktionen ins Leben gerufen. Zum Beispiel hat die Stadt Bonn 2022 entschieden, dass freiwerdende Flächen auf Friedhöfen nicht bebaut werden dürfen und stattdessen Wildblumenwiesen angelegt und Insektenhotels gebaut werden sollen.
Blühwiesen auf dem Südfriedhof in Bonn. Foto: Bundesstadt Bonn – Amt für Umwelt und Stadtgrün
Zudem ist das Artensterben keine neue Entwicklung. Die Probleme sowie die damit verbundenen Prozesse und Handlungsmöglichkeiten sind hinlänglich bekannt. Auch politisch wurden und werden verschiedene Absichten, Pläne, Konzepte, Förderstrategien und Maßnahmen erarbeitet und teilweise beschlossen.
Auf Bundesebene liegt seit Dezember 2024 die Nationale Biodiversitätsstrategie 2030 vor. Diese bündelt insgesamt 64 Ziele und rund 250 Maßnahmen in verschiedenen Feldern wie Natur- und Artenschutz, Klimaerwärmung, Stadtnatur oder Gesundheit. Erreicht werden sollen die Ziele bis 2027 und der Erfolg anhand von Kennzahlen und weiteren Prüfungen gemessen werden.
Die wichtige lokale Ebene der Umsetzung sind einmal mehr die Kommunen. Einige von ihnen arbeiten mit eigenen kommunalen Biodiversitätsstrategien. Diese sind allerdings nicht verpflichtend, sondern werden auf freiwilliger Basis erarbeitet. Besonders kleinere Kommunen haben dabei oft Schwierigkeiten, das Thema umfänglich sowohl personell als auch finanziell zu integrieren und umzusetzen.
Biodiversitätsmanager in Remscheid
Trotzdem haben sich auch in NRW schon mehrere Kommunen auf den Weg gemacht. Die Stadt Remscheid erarbeitet derzeit eine solche kommunale Biodiversitätsstrategie. Diese wird für zwei Jahre (9/2023-9/2025) aus Fördermitteln des Bundesprogramms „Biologische Vielfalt“ des Bundesamtes für Naturschutz finanziert.
Frank Stiller, Leiter der unteren Naturschutzbehörde in Remscheid, berichtet, dass dies für Remscheid ohne diese Unterstützung nicht möglich gewesen wäre. Die Förderung gestattet dabei neben der gezielten Erarbeitung von Handlungsfeldern und Zielen auch das parallele Umsetzen von ersten konkreten Maßnahmen.
Außerdem war es so möglich, die Stelle eines eigenen Biodiversitätsmanagers zu schaffen: Seit September 2023 übernimmt Sebastian Weidanz in Remscheid verschiedene Aufgaben. Diese umfassen eine Bestandsaufnahme lokaler Biotope, beratende Tätigkeiten bei Pflanzungen für Bürger*innen mit großen Gärten oder land- und forstwirtschaftlichen Flächen sowie die Erarbeitung und Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Förderung von Insekten, Vögeln und deren Lebensräumen.
Frank Stiller erläutert weiter: „Es war uns von Beginn an wichtig, direkt in die Umsetzung zu gehen und zu schauen, wo welche Maßnahmen kurzfristig umsetzbar sind. Also nicht nur in Papier zu investieren, sondern auch draußen sichtbare Ergebnisse zu schaffen.“ So sind bereits neue Baumreihen gepflanzt als auch Blühstreifen und Tümpel angelegt worden, um den Artenschutz wieder auszuweiten.
Blühwiesen auf dem Südfriedhof in Bonn. Foto: Bundesstadt Bonn – Amt für Umwelt und Stadtgrün
Baggerarbeiten für einen Tümpel. Foto: Frank Stiller
Ein angelegter Tümpel in Remscheid. Foto: Frank Stiller
Pflanzung von Baumreihen in Remscheid. Foto: Frank Stiller
Als besondere Herausforderung nennt er neben der personellen Situation auch neue Freiflächen zu finden, die für Biodiversitätsmaßnahmen überhaupt genutzt werden können, weil sie u.a. auch in Nutzungskonflikten mit der Landwirtschaft stehen. Die neue Biodiversitätsstrategie soll im besten Fall auch dazu beitragen, Natur- und Umweltschutz als Querschnittsaufgabe der Stadtverwaltung zu verankern, sodass verschiedene Ämter und Behörden an einem Strang ziehen.
Grün-blaue Baukultur
Stadtgrün bietet nicht nur viele Optionen, um Klimaschutz und Klimaanpassung in Städten voranzubringen; Grün bietet auch vielen Tieren und Pflanzen einen Lebensraum. Zudem müssen Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam gedacht und umgesetzt werden, anstatt sie gegeneinander auszuspielen. Denn das eine bedingt bzw. verstärkt das andere. Städte sollten Klimaanpassungsmaßnahmen im besten Fall so planen, dass sie Biodiversität fördern.
Wir brauchen blau-grüne Infrastrukturen – für Klimaanpassung und Artenvielfalt. Genau dafür setzt sich auch Baukultur NRW auch mit dem Projekt „Grüne Städte und Regionen“ ein. Aus baukultureller Perspektive resultieren daraus folgende Forderungen:
urbane Grünflächen und Gärten müssen erhalten und naturnah gestalten werden
Flächen sind zu entsiegeln, um weitere Grün- und Blühflächen zu schaffen
mehr Stadtgrün schaffen durch extensive Dachbegrünung und Bäume!
naturnahe Gewässer erhalten oder durch Renaturierung schaffen
Biotope vernetzen und z.B. durch Grüngürtel erhalten
Genau wie das Gestalten unserer Umwelt und unserer Städte sind auch der Schutz von Tieren, Pflanzen, Lebensräumen und des Klimas eine gemeinsame, gesellschaftliche Aufgabe – auf der Ebene des Bundes genauso wie auf der lokalen Ebene. Nur wenn wir auf allen Ebenen die nötigen Mittel ergreifen, können wir eine lebenswerte Zukunft wirklich gestalten.
Die Neue Leipzig Charta. Grundlagen, Themen, Projekte. 2021. Herausgegeben vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg. Download
Im Kontext der aktuellen Herausforderungen durch die Klimakrise braucht die Stadtlandschaft vor allem: Mut und Aktion! Annika Stremmer und Fenna Tinnefeld blicken zurück auf den Kongress „Grün! Blau! Grau!“ von Baukultur NRW in Witten.
Baukultur NRW setzt sich mit dem Kongress „Grün! Blau! Grau!“ am 5. Juni 2024 im Saalbau Witten für einen grünen Wandel unserer urbanen Räume in NRW ein. Mit vielen Akteur*innen wird die Bedeutung des Themas aus unterschiedlichen Perspektiven kommuniziert.
Der drastische Rückgang der Insektenvielfalt besorgt Naturschutzverbände und Teile der Bevölkerung in Deutschland. Die Stadt Kerpen wirkt dieser Entwicklung seit 2017 entgegen, indem sie Grünflächen als neue natürliche Lebensräume für Insekten herrichtet.
Annika Stremmer
Projektmanagerin Grüne Städte und Regionen
T 0209 402 441-28
Fenna Tinnefeld
Projektmanagerin Grüne Städte und Regionen
T 0209 402441-21
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