06.11.2015
Gutes Leben in der Hustadt
Die Bochumer Hustadt ist ein Musterbeispiel für den Großsiedlungsbau der 1960er und 70er Jahre – und dafür, dass diese Bestände auch heute noch eine große Lebensqualität bieten können.
Junge Architekten müssen heute staunen: Studieren sie die Lebensläufe berühmter Kollegen, haben diese Architekten schon in jungen Jahren die Chance zu großen Aufträgen erhalten: So nahm Hans Scharoun schon mit 18 Jahren an seinem ersten Wettbewerb teil, mit 24 Jahren baute er sein erstes Haus in der programmatischen Weißenhofsiedlung in Stuttgart neben Größen wie Mies van der Rohe und Le Corbusier. Werner Ruhnau war 34 Jahre als er die „Bauhütte“ für das Musiktheater im Revier leitete. Paul Schneider von Esleben wurde im Alter von 41 Jahren mit dem Großen Kunstpreis des Landes NRW ausgezeichnet. Das Preisgeld war ein Bauauftrag: für den Bau des Köln-Bonner Flughafens. Und das für einen Architekten, der zuvor noch nie einen Flughafen gebaut hatte. Diese Geschichten hören sich für viele junge Architekten heute sehr fremd an. Architekt plus Bauherr gleich Auftrag - so einfach ist es nicht.
Warum das aber so ist, versuchte die Diskussionsrunde im Rahmen der Ausstellung des M:AI „Positionen Schweizer Architekten“ zu ergründen. Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung der Perspektiven der Teilnehmer: Dr. Dieter Kraemer, ehemaliger Geschäftsführer der VBW Bauen und Wohnen in Bochum, Markus Lehrmann Geschäftsführer der Architektenkammer NRW und den jungen Architekten Daniel und Ben Dratz von Dratz & Dratz Architekten sowie Tim Seidel vom Büro BHSF, das mit vier weiteren Schweizer Architekturbüros die Installation der Kügli-Bahn im StadtBauRaum konzipiert und umgesetzt hat.
Die Beschreibung des jungen deutschen Architekten vom Büro BHSF in Zürich über die Situation in der Schweiz erscheint paradiesisch. Zurzeit wird in der Schweiz viel gebaut, so dass es ausreichend Bauaufgaben sowohl für die etablierten Büros wie die jungen Büros gibt. Im Jahr 2007 hat Seidel zusammen mit Axel Humpert und Benedikt Boucsein das Büro BHSF eröffnet, alle drei hatten sich während des Studiums an der ETH in Zürich kennengelernt.
Wenn man in der Schweiz einen Abschluss an einer der drei renommierten Hochschulen des Landes ETH Zürich, EPLF Lausanne oder der Accademia Architectura in Mendrisio erworben hat, darf man sich als Architekt bezeichnen und wird von Kollegen und Bauherrn als ein vollwertiger Partner anerkannt. Weder der Umsatz des Büros, noch die Anzahl der Mitarbeiter, noch der Nachweis der Leistungsphasen - oft Probleme für junge Büros in Deutschland - scheinen in der Schweiz so sehr ins Gewicht zufallen. Offener als in Deutschland agierten gegenüber jungen Architekten zudem die Baubehörden. So konnte das Büro BHSF bereits einige größere städtebauliche Wettbewerbe für sich entscheiden.
Die beiden Brüder Ben und Daniel Dratz berichten von ihren anfänglichen Schwierigkeiten, obwohl sie nicht ganz „bei Null“ angefangen haben - seit 2010 das Büro des Vaters übernommen haben. Die Projekte von Dratz & Dratz Architeken in Oberhausen wurden schon vielfach mit Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Förderpreis des Landes NRW für junge Künstler und Künstlerinnen. Daniel Dratz bezeichnete die Preise und Ehrungen aber nicht immer als förderlich. Der Grund: In den Bauämtern werde man schnell mit dem Anspruch „Künstler“ abgetan. Die vielgelobte Chance für junge Architekten, sich durch Wettbewerbe bekannter zu machen, sehen die beiden skeptisch. Wettbewerbe seien gerade für junge Architekten zum Teil enorme Hürden, allein schon wegen der Anforderungen an die Teilnahme. Aber auch bei Wettbewerben selbst hätten die Etablierten häufig die Nase vorne. Es fehle dort der Mut, sich auf neue Ideen und Konzepte einzulassen, kritisierten die Architekten. Stattdessen überwiegt die Tendenz auf große Erfahrung und pragmatische Lösungen zu setzen. Ben und Daniel Dratz nannten noch einen weiteren Aspekt - die finanzielle Situation. Oft mangele es den jüngeren Architekten ganz einfach am Geld, um an Wettbewerben teilzunehmen, in größeren Teams über Monate unentgeltlich zu arbeiten und auch mit aufwendigen Präsentationen in Konkurrenz zu den etablierten Büros mitzuhalten. Passend dazu auch ein Satz der Dratz-Brüder aus ihrer Anfangszeit, der ihre Herangehensweise deutlich macht: „Wir wollen bauen“, sagten sie sich damals, anstatt bei jedem Wettbewerb teilzunehmen. Eine Parallele übrigens zu Tim Seidel und BHSF.
Der Geschäftsführer der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen sieht die Startschwierigkeiten von jungen Architekten in den Beruf in der wenig praxisbezogenen Ausbildung an den Hochschulen. Dort stehe der Entwurf zu stark im Vordergrund und das Basiswissen werde vernachlässigt. So würden erfahrene Kollegen darüber klagen, dass sie den Hochschulabsolventen praktisches Wissen und Erfahrung erst vermitteln müssten und so einen erheblichen Teil der Ausbildung übernehmen würden.
In der Tat klafft in Deutschland eine Lücke zwischen dem Abschluss des Hochschulstudiums und der Aufnahme in die Architektenkammer, die berechtigt die Bezeichnung Architekt überhaupt führen zu dürfen und an Wettbewerben teilzunehmen. In diesen zwei Jahren müssen sich die Hochschulabsolventen die praktische Erfahrung in Architekturbüros aneignen und verschwinden in dieser Zeit auch oft in der öffentlichen Wahrnehmung, insbesondere von Auftraggebern. Zwar gibt es eine Reihe von Wettbewerben und Auszeichnungen für Hochschulabsolventen, danach folgt meistens aber erst einmal nichts.
Wettbewerbe sind nach Meinung von Lehrmann eine wichtige Chance für junge Architekten. Jedoch räumte er auch ein, dass es schwierig ist, Bauherrn davon zu überzeugen, Nachwuchsarchitekten eine Chance zur Realisierung zu geben. Weitergedacht bedeutet dies, neuen Ideen und Konzepten vielleicht einmal den Vorrang zu lassen vor Erfahrung. So möchte die AKNW zukünftig einen Preis initiieren für junge Architekten, der im Anschluss auch die Realisierung ermöglicht.
Als Beigeordneter der Stadt Hamm für die Geschäftsbereiche Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung und als Geschäftsführer der VBW Bauen und Wohnen in Bochum ist Dr. Dieter Kraemer immer wieder mit jungen Architekten und Künstlern ungewöhnliche Wege gegangen. Das Wichtigste ist seiner Meinung nach: Mut. Bauherrn sollten sich auf neue Ideen und Konzepte einlassen und gemeinsam als Bauherr und Architekt vertrauensvoll zusammenarbeiten. Entscheidend für die Wohnungswirtschaft sei vorrangig nicht die Inwertsetzung der Immobilien, sondern die nachhaltige lebenswerte Gestaltung eines Wohnquartiers, die sich nicht nur in der Architektur manifestiert. Dafür ist in erster Linie nicht große Erfahrung nötig, vielmehr sind ungewöhnliche Ideen gefragt.